Es war ein wilder Ritt. Nach 13 Monaten – eins meiner längsten Projekte – verlasse ich nun Ende des Monats meinen aktuellen Auftraggeber. Im Projekt hatte ich verschiedene Rollen – Projektleiterin, Lerncoach und eTrainerin.
Gestartet bin ich im März letzten Jahres als Projektleiterin für den Wechsel des Outsourcing-Dienstleisters für die Lohnabrechnung in Deutschland des Unternehmens. Go-Live Deutschland war geplant für 08/2023. Vereinzelte europäische Länder des Auftraggebers sollten ebenfalls bis Ende des Jahres überführt werden.
Hier ein kleines Projekttagebuch – Teil 1:
März 2023: Wir starten mit einem Projektleiter des neuen Dienstleisters in Singapore – Yes!! War für den Auftraggeber eine Überraschung, für mich auch. Er klärt Grundsätzliches, u.a. GoLive und Testing-Phasen. Englisch war angesagt. Für mich kein Problem, aber wäre ich es nicht gewohnt international zu arbeiten, wäre das Projekt hier schon für mich zu Ende gewesen.
April 2023: Wir starten mit der Lohnabrechnung in Deutschland. Hierfür gibt es ein deutsches Team des neuen Dienstleisters für die Datenüberführung und eine spanische Projektleiterin in Madrid. Die geforderte Datenzulieferung wird schwierig. Die Verantwortlichen beim Auftraggeber sind entweder krank, im Urlaub oder einfach untergetaucht und nicht erreichbar. Das Schiff treibt steuerlos von Seiten des Auftraggebers. Ich eskaliere an die Geschäftsleitung, da das Projekt hier schon zu kippen droht. Die Geschäftsleitung reagiert. Der alte Dienstleister reagiert nicht. Auch hier muss ich eskalieren. Mit Ach und Krach schaffen wir die Datenzulieferung.
Mai – Juni 2023: Klärung mit den Verantwortlichen des Auftraggebers wie die Zusammenarbeit für mich zukünftig laufen muss. Dem Auftraggeber ist nun klar, dass für einen Projekterfolg auch er zuverlässig mit im Boot sein muss. Das Projekt läuft nun. Es gibt zweimal pro Woche interne Abstimmungen mit dem HR Team des Auftraggebers, mit der Buchhaltung sowie mit der internationalen Projektleiterin in Madrid und dem operativen deutschen Projektteam. Daten werden nun rechtzeitig zugeliefert und Entscheidungen zügig abgestimmt. Wir arbeiten zwischendurch über einen MS TEAMS Kanal, den ich am Anfang für das Projekt eingerichtet habe. Hier über chatten wir ausserhalb der regelmäßigen Meetings und machen den Datenaustausch.
Ende Juni werde ich privat am Knie operiert. Endlich. Seit April warte ich auf den Termin. Genau in der heißesten Phase des Projekts. Natürlich was sonst. Ich arbeite vom Krankenbett aus. Bin erstaunt, dass das alles so gut gelaufen ist.
Juli 2023: 2. Testphase. Es gibt Misskommunikation durch den neuen Dienstleister bzgl. Prozedere Abmeldeverfahren Sozialversicherung und Lohnsteuerbescheinigung. Der alte Dienstleister ist hier zurecht sauer. Ich muss zwischen alten und neuen Dienstleister vermitteln. Außerdem gibt es Unstimmigkeiten bzgl. des monatlichen Datenlieferungsprozesses und der Form der Kommunikation mit dem neuen Dienstleister.
Parallel läuft mein Genesungsprozess. Ich gehe an Krücken und arbeite im Liegen. Fuss hochgelagert. 3x pro Woche fahre ich zu meiner Physiotherapeutin. Dank Remote-Arbeit gut zu bewerkstelligen.
August 2023: GoLive. Wir lernen das Abrechnungsteam in Tschechien kennen. Sehr nett, aber das Team spricht nur Englisch. Bis auf Jana, kann keiner der neueingestellten Mitarbeiter beim Kunden Englisch. Außerdem gibt es nun plötzlich eine sog. Client Account Managerin, die als Ansprechpartner für alle Anliegen des Kunden dienen soll – die sitzt allerdings in Indien und hat von deutscher Lohnabrechnung keine Ahnung. Der Auftraggeber komplett aufgeregt. Das ganze war wohl so nicht besprochen bzw. erwartet. Weder das Nearshoring in Tschechien noch die indische CAM. Wir biegen es so hin, dass zumindest die Kommunikation mit dem Abrechnungsteam in Tschechien direkt erfolgen kann. Die CAM ist allerdings für den letzten Abrechnungsschritt im System verantwortlich, der dann auch die Meldeverfahren auslöst. Das geht im August schon mal schief. Sie versemmelt fast die Frist zur Lieferung der Beitragsnachweise. Ich muss mal wieder eskalieren. Gerade noch schaffen wir rechtzeitig die Meldung für August.
…to be continued…
Learnings:
X HR- und Payrollprojekte sind Ressourcenfresser für das bestehende Team – ein externer Projektleiter kann hier unterstützen, das Team entlasten, viel Koordinations- und Steuerungsarbeit abnehmen und externes Know-How einbringen
X Unternehmen sollten sich über die Anforderungen des Projekts und somit an internes und externes Personal im Vorfeld informieren
X Unternehmen sollten sich vor einem Payroll Outsourcing, Systemwechsel, Wechsel des Outsourcing-Partners extern beraten lassen
X Ein externer Payroll-Projektleiter braucht umfassende operative Lohnabrechnungskenntnisse. Rechtliche Kenntnisse und System-Know-How. Das kann nicht jeder.
X Ein Payroll Projekt (eigentlich jedes externe Projekt) braucht auch Steuerung durch den Auftraggeber. Ohne den Auftraggeber läuft es nicht.